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Hamburg Rüstungsindustrie

„Die Ukraine wird Europas Arsenal werden“

Wirtschaftsreporter
Iryna Tybinka, Generalkonsulin der Ukraine in Hamburg Iryna Tybinka, Generalkonsulin der Ukraine in Hamburg
Iryna Tybinka, Generalkonsulin der Ukraine in Hamburg
Quelle: Bertold Fabricius
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Generalkonsulin Iryna Tybinka wirbt selbstbewusst um Investitionen in die ukrainische Wirtschaft. Das von Russland überfallene Land könnte Europa mit zentralen Produkten und Dienstleistungen stärken. Doch bislang halten sich deutsche Unternehmen zurück.

Der Krieg um Gaza zwischen Israel und der Hamas hat den Krieg in der Ukraine erstaunlich schnell in den medialen Hintergrund gedrängt. Russlands Überfall auf sein Nachbarland am 24. Februar 2022 und der Zerstörungswille der russischen Führung und Armee läuft in der öffentlichen Wahrnehmung mittlerweile eher nebenher. Dabei ist Russlands Vernichtungskrieg im Osten auch ein grundlegender Angriff auf Europas Wertesystem insgesamt.

Wer die Oberhand gewinnen, wer den Krieg für sich entscheiden kann, ist völlig unklar. Erstaunlich genug, dass die Ukraine – wenn auch mit massiver westlicher Waffenhilfe – bislang überhaupt gegen Russland standhalten konnte. Noch bemerkenswerter ist aber, dass das osteuropäische Land längst am Wiederaufbau und an der Modernisierung seiner Wirtschaft arbeitet – letztlich auch, um die Kriterien für den erhofften Beitritt zur Europäischen Union erfüllen zu können. „Die Widerstandsfähigkeit der ukrainischen Wirtschaft wurde allgemein unterschätzt“, sagte Iryna Tybinka, die Generalkonsulin der Ukraine in Hamburg, bei einer Veranstaltung der Kühne Logistics University. „Die Ukraine darf und wird es sich nicht erlauben, Reformen aufzuschieben und das Ende des Krieges abzuwarten. Der Wiederaufbau unseres Landes bietet ein riesiges Potenzial.“

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Im vergangenen Jahr, nach Russlands Überfall, schrumpfte die ukrainische Wirtschaft um mehr als 29 Prozent. Für dieses Jahr erwarten Ökonomen ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von zwei, im kommenden Jahr von 3,2 Prozent. Klar ist, dass die Ukraine vor dem Hintergrund der heutigen globalen Verwerfungen schon unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten perfekt zur Europäischen Union passen würde. Das Land ist weltweit einer der wichtigsten Erzeuger von Agrarprodukten, vor allem von Getreide und Saaten. Aber auch eine gut ausgebildete Bevölkerung – mit einem sehr hohen Anteil an Experten für Informationstechnologien –, ein Reichtum an Rohstoffen, das große logistische Potenzial und vieles mehr dürften die engere Integration in die EU erleichtern.

Und sehr selbstbewusst wies Tybinka auch auf eine andere Branche hin: „Die Rüstungsindustrie der Ukraine wird sehr stark entwickelt, daran nehmen deutsche Unternehmen intensiv teil. In einigen Jahren wird die Ukraine Europas Arsenal werden“, sagte Tybinka auch vor dem Hintergrund, dass Europa seine Verteidigungsfähigkeiten deutlich ausbauen muss. In der Ukraine selbst will etwa der deutsche Konzern Rheinmetall ein Werk für den Panzerbau errichten. Aber auch die Produktion anderer Waffen und Systeme will die Ukraine stark ausbauen.

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In den Branchen der zivilen Wirtschaft allerdings scheint das Interesse deutscher Unternehmen an Investitionen bislang eher gering zu sein, ungeachtet aller politischen Solidaritätsadressen, das Land im Krieg gegen Russland nicht im Stich zu lassen. Zu groß wirken offenbar die Unsicherheiten, vom täglichen Kriegsgeschehen bis zu den weiteren politischen Entwicklungen. „Viele Unternehmen trauen sich bislang nicht, Mitarbeiter in die Ukraine zu schicken“, sagt Harald Nikutta vom Beratungsunternehmen Control Risks Group. „Dabei gibt es gerade jetzt ganz große Möglichkeiten, wirtschaftlich in der Ukraine anzuknüpfen. Die Kommunikationsbereitschaft dort ist sehr groß.“

Der in Deutschland nach wie vor herrschende Eindruck, Korruption und Intransparenz seien prägende Merkmale der ukrainischen Wirtschaft, entspreche immer weniger der Realität: „Dort agieren inzwischen überall frische Kräfte und neue Gesichter. Doch bei vielen deutschen Unternehmen fehlt die Bereitschaft zum Dialog“, sagte Nikutta, der die Ukraine kürzlich erst mit einer Gruppe von Unternehmern bereist hat. „Wer jetzt dort vor Ort ist, der knüpft die entscheidenden Kontakte. Jetzt werden in der Ukraine die Standards für den Wiederaufbau des Landes und der Wirtschaft gesetzt.“ Unternehmen aus den USA etwa seien derzeit in der Ukraine viel präsenter als deutsche Firmen.

Hamburg konzentriert seine Hilfen für die Ukraine vor allem auf eine Partnerschaft mit der Hauptstadt Kiew, auch in den Verbindungen der jeweiligen Handelskammern. „Die wirtschaftlichen Verbindungen in die Ukraine sind besser als vor einem Jahr, aber sie sind noch lange nicht gut“, sagte Malte Heyne, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Hamburg. „Die Ukraine hat Potenziale, zum Beispiel bei den Informationstechnologien, die wir früher gar nicht richtig wahrgenommen haben.“ Viele Konzerne hielten sich im Zweifel mit einem Engagement in der Ukraine zurück, weil deren selbstgefasste Regelwerke etwa für die Sicherheit von Menschen und Investitionen mehr Flexibilität verhinderten, sagte Heyne: „Wir sollten vor allem auch darauf setzen, dass Mittelständler und eignergeführte Unternehmen ihre Spielräume nutzen und ihre Chancen in der Ukraine wahrnehmen.“

Die westliche Staatengemeinschaft arbeitet mit der Ukraine längst am Wiederaufbau des Landes. Eine nächste große Konferenz dazu, die „Ukraine Recovery Conference“, findet vom 11. Juni 2024 an in Berlin statt. Die Europäische Union wirkt darauf hin, dass eingefrorene Gewinne russischer Unternehmen als Reparationszahlungen herangezogen werden können. Schätzungsweise rund 600 Milliarden Euro wird der Wiederaufbau in der Ukraine kosten. „Es erfordert viel Geld und eben auch Reparationen Russlands für all das, was uns gestohlen wurde“, sagte Tybinka.

Bereit für den Neustart in der Ukraine steht der Hamburger Hafenlogistikkonzern HHLA. Zu Beginn des Jahrtausends hatte die HHLA am Schwarzmeerhafen Odessa einen Terminal übernommen. Bis zum Beginn des Krieges baute die HHLA die Anlage zum modernsten Hafenterminal der Ukraine aus. Viele der rund 480 Mitarbeiter – Frauen und deren Kinder – holte die HHLA nach Kriegsbeginn nach Hamburg. Viele der Männer wurden zum Wehrdienst eingezogen. Zwischenzeitlich wurde der HHLA-Terminal auch zum Getreideexport aus der Ukraine genutzt. „Wir glauben an die Ukraine und daran, dass sie wieder auferstehen wird“, sagte HHLA-Auslandschef Philip Sweens bei der Konferenz der Kühne Logistics University. „Unsere Anlage ist nicht zerstört. Wir könnten dort jederzeit wieder mit dem Umschlag von Containern beginnen, und wir wollen den Geschäftsbetrieb in Odessa wieder voll starten, sobald es möglich ist.“

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