Eine neue Ära der Kreislaufwirtschaft in Europas Automobilindustrie

Die Zukunft der europäischen Automobilindustrie heißt Kreislaufwirtschaft – die Initiative Ce:Versa möchte mit Reverse Logistics den Autosektor nachhaltiger gestalten und gleichzeitig Kosten für alle Beteiligten sparen.

Die europäische Automobilindustrie gehört zu den Hauptverursachern für Klimaveränderungen und Umweltbelastungen. Rund neun Prozent der weltweiten
CO₂-Emissionen entfallen auf den Automobilsektor. Neben dem Straßenverkehr, in dem jährlich rund 740 Millionen Tonnen CO₂ entstehen, werden auch für die Produktion immen-
se Ressourcen verbraucht und Treibhausgase ausgestoßen. So benötigt die Produktion eines durchschnittlichen PKWs circa 70 Tonnen Material, darunter vor allem Ressourcen
wie Metalle oder Erdöl, und allein bei der Produkti on eines Kleinwagens entstehen rund vier Tonnen CO₂. Dazu kommen Treibhausgasemissionen und Ressourcenverbräuche bei den
Betriebsmitteln und Ersatzteilen. Insgesamt besteht ein hohes Abfallaufkommen der Industrie, sowohl im Rahmen der Herstellung als auch bei den Reparatur- und Serviceleistungen.

Europaweite Plattform für mehr Kreislaufwirtschaft in der Automobilindustrie

Durch den Aufbau einer europaweiten Plattform für die Rückführung und Wiederaufbereitung von Automobilkomponenten möchte Ce:Versa, ein neues Projektkonsortium
bestehend aus der Kühne Logistics University, Circularity e.V. und der Encory GmbH, die Kreislaufwirtschaft in der Automobilindustrie vorantreiben. Die Vision: eine europäische
Allianz für mehr Kreislaufwirtschaft in der Lieferkette zwischen Automobilherstellern, Komponentenherstellern und Logistikunternehmen. In einer sogenannten Shared Reverse
Supply Chain sollen Sammlung, Screening, Kontrolle und Vertrieb von Automobilkomponenten für die Wiederaufbereitung und das Recycling branchenweit organisiert und von
allen Automobil- und Komponentenherstellern gemeinsam genutzt werden. Dies ermöglicht beträchtliche Kosteneinsparungen und darüber hinaus den Erhalt wertvoller Ressourcen
im europäischen Kreislauf. Eine gemeinsame Rückwärtslogistik bietet ein großes Potenzial, Scope 3 CO₂ Emissionen, also indirekte Emissionen entlang der Lieferkette, zu reduzieren.

Ungenutztes Skalierungspotenzial durch Wiederaufbereitung beschränkt Kreislaufwirtschaft

Das Potenzial der Wiederaufbereitung gebrauchter Automobilkomponenten, das sogenannte Remanufacturing, ist aktuell vor allem dadurch stark begrenzt, dass jeder Auto-
mobilhersteller eine individuelle Rücknahmelogistik (Reverse Supply Chain) betreibt. Jedes Unternehmen organisiert und betreibt dabei eine eigene Sammlung, Sortierung, Logistik
und Lagerung bis hin zur Aufbereitung von gebrauchten Automobilkomponenten, inklusive individueller Logistik- und Aufbereitungsprozesse, IT- und Pfandsysteme, Dienstleister,
Lagerräume und vielem mehr. Dadurch sind Skalierungspotenziale für das Remanufacturing erheblich limitiert. So bleiben viele Komponenten, die eigentlich in den Material-
kreislauf rückführbar wären, unaufbereitet und werden zu Abfallmaterial. Auch Kosteneinsparungspotenziale bleiben damit ungenutzt.

Zentrale Charakteristika ermöglichen individuelle Teilnahme

Um möglichst vielen Unternehmen die Teilnahme an einer gemeinschaftlich organisierten Reverse Supply Chain zu ermöglichen, muss diese mindestens genauso leistungsfähig
sein wie die aktuellen individuellen Systeme der Hersteller – wenn nicht leistungsfähiger. So sollen beispielsweise alle beteiligten Parteien jederzeit volle Transparenz über den
Standort und den Bearbeitungsstand ihrer Komponenten haben
. Zugleich ist hohe Datensicherheit essenziell, denn kaum jemand gibt gern sensible Informationen preis. Trotz
der gemeinschaftlichen Organisation der Supply Chain soll zudem weiterhin Raum für Individualisierung bleiben, indem teilnehmende Unternehmen beispielsweise weiter-
hin ihr eigenes Pfandsystem oder ihre Pfandhöhe gestalten können. Dies gilt ebenso zum Beispiel für die Qualität der Wiederaufbereitung ihrer Komponenten oder auch den Ort
und Zeitpunkt des Weiterverkaufs.

Ein erfahrenes Konsortium aus Wissenschaft und Praxis

Hinter Ce:Versa steht ein Projektkonsortium, in dem Partner aus Wissenschaft und Praxis ihre Stärken im Bereich der Kreislaufwirtschaft bündeln. Als neutraler Partner verantwortet
die KLU die wissenschaftliche Begleitung. Encory, ein Anbieter zirkulärer Lösungen für die Automobilindustrie, bringt sein Industrie Know-how ein. Zudem steuert der Do-Tank Circularity
seine Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Unternehmen zu Circular-Economy-Transformationen sowie seine Expertise im Bereich der Prozessgestaltung zum Vorhaben bei.

Industriekooperation zur Gestaltung der Plattform

Der Aufbau einer solchen gemeinsamen, europaweiten Rücknahmelogistikplattform kann nur gelingen, wenn in der Industrie ausreichend Motivation und Nachfrage vorhanden
ist. Auch muss ihre konkrete Ausgestaltung zu den Anforderungen der Industrie passen. Daher möchte das Ce:Versa-Projektkonsortium im aktuellen Aufbaustudium der Plattform
mit interessierten Unternehmen in den Dialog treten, um die Chancen für den Aufbau einer gemeinsamen Reverse Supply Chain Plattform zu bewerten und essentielle Eigenschaften
einer solchen Plattform gemeinsam auszugestalten. Dazu findet ein Industrie-Workshop mit einer kuratierten Auswahl an engagierten Automobil-, Komponentenherstellern und Lo-
gistikunternehmen am 26. September 2023 auf dem Campus der Kühne Logistics University in Hamburg statt. Interessierte Unternehmen können sich gern an Prof. Dr. Johannes Meuer
wenden.

Dieser Artikel erschien zuerst im forum Nachhaltig Wirtschaften in der Ausgabe 03/2023.

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